Feuilleton 31.7.1998, S. 40

FAZ , 31.07.98; Words: 828

Avantgarde ist wurscht
Duchamperei im Visier: "Das Deutsche Handwerk" in Stuttgart
Schwer lastet die Kultivierung von Objekten industrieller Fertigung auf der Kunst. Anfang des Jahrhunderts erklärte sie Marcel Duchamp zum Ready- made, und in den sechziger Jahren zapfte die Pop-art die Massenkultur an, wofür sie vom Markt zur Hochkunst erhoben wurde. Seit den satten achtziger Jahren hat sich das Tempo, mit dem die Kunst auf solche Objekte zugriff, weiter beschleunigt. Das Resultat ist eine elegante Warenästhetik, die das einst künstlerische Feld mit dem Terrain des Lifestyles ver! einigt hat. Gegen letzteren und di e Erfolgsgeschichte der Altvorderen haben es junge Künstler heute schwer, sich zu behaupten. Selbst der Mechanismus, daß Avantgarden sich stets durch Negation der vorhergegangenen definieren, hat sich längst durch Beschleunigung abgenutzt.

Ist das Ende avantgardistischer Kunst also nur der Ausdruck einer unpolitisch gewordenen Kultur, die Wehmut, die den Verlust umgibt, nur ein linker Ladenhüter? Wie fröhlich der Akt der Zerknirschung wirken kann, mit dem die Fachwelt längst Abschied vom Konzept eines Avantgardismus genommen hat, offenbart das Qualitätslabel "Das Deutsche Handwerk", hinter dem sich drei Stuttgarter Künstler verbergen. Was sie in einem signalroten Kubus unter der Kuppel des Württembergischen Kunstvereins zeigen, fährt mehrspurig. Ihr Motto "Männer, Mädchen und Maschinen" verballhornt das Patriarchenwesen der Avantgarden, auch jenseits von Futurismus und Francis Picabia.

Neben einer "Beobachtungsmaschine" aus Pappe von Thomas Raschke, die dem steten Einfluß mechanischer Sehmaschinen auf die Kunst huldigt, ist auch Lady Dis Brustwarze als Mixed-media-Devotionalie zu haben. Munter verkündet ein an den Comicstil des Amerikaners Roy Lichtenstein erinnerndes Blatt, jedoch ornamentaler gezeichnet: "Nie wieder Kubismus." Ein weiteres stellt fest: "Avantgarde is wurscht." Und wo die eine Partyschönheit höhnt: "Das ist keine Pfeife", weint die andere Tränen um Dada.

Um die vierzig Jahre alt sind Sebastian Rogler, Thomas Raschke und Frieder Rusmann, die Handwerker aus dem Württembergischen. Sie treiben ein Jonglierspiel mit fest in der Kunstwelt verankerten Werk- und Wertbegriffen. Der offene, feuerrote Kubus, den sie in den Kunstverein gestellt haben, persifliert einen Museumsshop, er wird mittels Direktorenzimmer zum Museum, durch Flutlichter zum Stadion und mit Hilfe eines Laufstegs zur Bühne. Und er entpuppt sich - unterstützt durch die örtliche Architektur und einen Text, der per Kopfhörer auf einen eindringt - obendrein als Tempel und Weiheort. Eine entsprechende CD liefert Erklärungen aus dem Fundus der Kunstvermittlung von Immanuel Kant über Hans Sedlmayr bis zu Martin Heideggers "Ursprung des Kunstwerks". Reflektiert wird auch über "Vier Aspekte von Kuppel, Kugel und Kubus". Hier erfährt man Details über den Streit von Experten zum Beginn abstrakter Kunst. War das genau 1910, erst 1913 oder schon 1905? Torpediert am Ende auch die Wissenschaft das Entstehen neuer Avantgarden?

Die "Handwerker" bringen Zugluft in die windstillen Gegenden der Kunst. Objekte, Zeichnungen, Collagen, Brikolagen, fliegende Blätter, Vitrinen voll Fertiglyrik, das Skulpturale an Klein- und Großkunst, alles, was den Kubus füllt, gibt Zeugnis von Sackgassen, Barrieren und Schlagwörtern, die in den internationalen Kunstzentren für abgrenzende Nobilität sorgen. "Sternstunden" heißt  eine fünfteilige Zeichnungsfolge von Frieder Rusmann, auf der eine gefiederte Frau im Badekostüm erscheint. Zu lesen ist unter dem Anselm Kiefer gewidmeten Artefakt: "Am 16. 05. 1989 beweist der Teuerste letztgültig, daß Blei nicht fliegt." Ist Anselm Kiefer einer, der mit Blei und Kernen aus Sonnenblumen symbolgewieft durch die Mythen der Geschichte segelt?

Gewidmet sind die schlau als Assoziationskette argumentierenden Blätter den Flugversuchen Leonardos, dem futuristischen Maschinenkult, dem Schachspieler Duchamp, der die Malerei "für erledigt" erklärte, Joseph Beuys, der abstürzte, um alsbald das Material des Schamanen zu finden. Damit gerät die "Duchamperei", sowie der erprobte Hang zur Märtyrer- und Legendenbildung ins Visier, der Kunst als Glaubensfrage durchzieht. Duchamp, auf den die "Handwerker" sich immer wieder beziehen, gilt ihnen als "Chefkonstrukteur der Junggesellenmaschine".

Flugzeuge, Autos, Motoren, Radios oder Waschmaschinen schrumpfen bei Raschke, Rusmann und Rogler zum Drahtgestell. Ob sie nun an den Spitzbögen einer lahmen Rakete aus Wellpappe die Formensprache der Gotik loben oder besser gleich auf die Lichtmetaphysik der Kathedrale abheben, mit ihren tüftelnden Gütesiegeln aus Fakes und Parodie reduzieren die drei Handwerker das Wirkliche gern aufs transparente Minimum. So heben sie auf den Kult wiedergekäuter Terminologien des "Betriebssystems Kunst" ab. Denn in ihm kam schließlich der Motor "Avantgarde" zum Stillstand.

Aus den ins Stocken geratenen Repertoires der Avantgarden und der symbolischen Macht der Lobpreisungen ihrer Heroen filtern die "Handwerker" einen nicht unbeträchtlichen Witz. Es geht ihnen dabei nicht darum, das Gewesene zu verlachen oder ein neues Konsumsegment zu öffnen, sondern um das Erreichen einer ironischen Distanz zum Glaubenssystem Kunst und dessen Kultwerten. "Das deutsche Handwerk" durchleuchtet das marode Gebäude der Kunst und ist Lichtjahre davon entfernt, der Kunst in einer effizienten Technokultur noch utopische Potentiale zuzuschanzen. Man darf gespannt sein, wie die Spötter mit "gediegenen Artikeln" ins nächste Jahrtausend kommen.

GISLIND NABAKOWSKI

Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, bis 6. September. Der im Verlag Das Wunderhorn erschienene Katalog kostet 25 Mark.

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