Der Wurm im Apfel als Computer-Trick

Grenz-Gänge von Reinhard Döhl und Johannes Auer im Konstanzer Kulturzentrum

Der freundliche ältere Herr mit der Halb-Brille hat Bilder von japanischen Textzeichen aus Fernost mit nach Konstanz gebracht. Er ist zusammen mit seinem jungen Kompagnon unterwegs zu einer Grenzerkundung. Reinhard Döhl, Pionier der Konkreten Poesie und Johannes Auer, Konzept-Künstler, sind zusammen aus Stuttgart angereist, um im Kulturzentrum die Spiel-Felder zu bestellen, die sich zwischen bildender Kunst und Poesie bzw. Prosa von alters her auftun.
Die Spanne, die sie für ihre Unternehmung ausmessen, reicht weit. Da ist zunächst ihr Vortrag über die Geschichte der Neuerer von Theokritos (3. Jhdt. vor) bis zum Humanisten Scaliger, von Duchamp über Schwitters bis hin zu Max Bense und Andy Warhol. Dazu gibt es Beispiele von Computer-Kunst aus der Werkstatt von Döhl und Auer. Sowie: Bildwerke der beiden Künstler als Bestandteil der das Projekt begleitenden Ausstellung. "Text sucht Bild" lautet das Konstanzer Motto (heute Abend übrigens mit Alissa Walser, 20 Uhr, Kulturzentrum), dem der freundliche Herr Döhl gegebenenfalls bis ins ferne Japan hin nachspürt: "Für Japan", sagt er, "interessiere ich mich, seit ich denken kann". - Die Grenzüberschreitung vom Abendland nach Japan liege ziemlich tief in ihm drin. Also übt er Zen-Meditation und - meditatives "Schrift-Malen": Beispiele dafür sind Bilder mittleren Formates mit kräftigem schwarzem Strich, expressiv und diszipliniert zugleich. Döhl war in seinen mittleren Jahren einerseits als Professor für Literatur- und Medienwissenschaft, zum anderen aber als Poet im Stuttgarter Umkreis des Vordenkers Max Bense aktiv.
Eugen Gomringer und Helmut Heißenbüttel gehörten ebenfalls zu dieser Gruppe. Von Döhl stammt der aus den Worten "Apfel" geformte Apfel mit einem "Wurm-Wort" drin: Das "Apfelgedicht" von 1965, ein veritables Kunst-Stück im Grenzbezirk der konkreten Poesie und ein Stück wirklicher deutscher Literaturgeschichte. Johannes Auer, Döhls Mitstreiter, der im Kulturzentrum als "Frieder Rusmann agierte, hat der konkreten Wort-Kunst Döhls in einer Computer-generierten Bilder-Show einen interaktiven Appendix verpasst. Döhls "Wurm-Apfel" kann nun vom User gleichsam gefressen werden, und ein Gedicht magert per Mausklick ab zum Wortgerippe, um endlich ganz zu verschwinden. Wie alle jungen Künstler sucht Auer nach seiner freien Bahn. Die führt zunehmend durch besetztes Gelände. Auers Kunst reagiert darauf. Die vorhandenen Bildwelten von Marinetti, Beuys und Duchamp werden mit den ironisch gewendeten Mitteln der Pop-Art umspielt und aufgebrochen. Etliche Fallgruben machen seinen Weg freilich zum Zick-Zack-Kurs. Yves Kleins legendäres Blau beispielsweise ist mittlerweile patentiert. "Da kann ich, sagt Auer mit einem Schulterzucken, "nur so nahe als möglich heran. Ganz nahe geht nicht, sonst sprechen die Gerichte. Frieder Rusmanns Konsequenz ist das "Manifest für den natürlichen Tod des Kunstwerks" (www.kunsttot.de).
Würde das Althergebrachte verschwinden, böte sich endlich Platz für die Nachgeborenen. Das ist soweit plausibel, aber das Konstanzer Publikum ist überaus zögerlich mit der Unterschrift: Hat er das jetzt ernst gemeint?! Bosch und Breughel, Beuys und Bense: weg damit?! - Auer lacht: Sein Frieder Rusmann funktioniert durchaus in solchen Augenblicken der Irritation - während der leibhaftige Künstler in seiner Kunst-Figur verschwindet.

Dieter Kief

Ausstellung C. Meckel, B. Brechbühl, R. Döhl und F. Rusmann, A. Walser im Kulturzentrum am Münster bis 22.4.; Di. bis Fr. 10-18 Uhr; Sa./So. 10-17 Uhr.


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