Best Game Ever





















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art.21-zeitdruck hat nie ein Buch besprochen, nie einen Film, nie ein Kunst- werk und nie ein politisches Ereignis. art.21-zeitdruck hat immer gesagt: Zu besprechen gibts nichts. Eine Besprechung gibts doch: eine Computerspiel-Rezension. Wenn man etwas rezensieren kann, so ist das ein Computerspiel. Man könnte vielleicht noch Schuhe rezensieren, art.21-zeitdruck kanns nicht. art.21-zeitdruck hat sich gegen die Schuh- und für die Computerspiel-Rezension ausgesprochen.
Von Christian Zehnder


STUTTGART   -   Wenn das Genie da ist, kann man, wie bei Bernhard, daneben unter- gehen, der Untergeher sein, oder man kann den Geniegedanken ad absurdum führen. Letzteres tut der Stuttgarter Künstler Frieder Rusmann in seinem Internetspiel »Wert- schöpfung«.
Während er räsoniert und Lavazzakaffee mit Milch mengt, exerziert Glenn Gould das Wohltemperierte Klavier durch. Ich sage zu Frieder Rusmann: »Eigentlich passt Gould zur so genannten Genie-Diskussion, er war ja ein Genie.« Rusmann antwortet: »Wer unter Glenn Gould untergehen will, der soll meinetwegen. Für mich ist Goulds Spiel nicht so sehr genial als vielmehr seriell. Seine Genialität besteht wenn schon darin, dass er spielt wie ein Computer.«
In Rusmanns Spiel geht es um serielle und permutative Kunst. Die ist »ziemlich geniefrei und computernah«, so er.  Also. Über die Maus steuert man eine Spritze. Mit dieser fuchtelt man in einer Petrischale herum und muss den Zellen, die darin im Zeitraffer wachsen, eine Injektion geben. Ist man  schnell und genau und trifft, entstehen aus den Zellen Picasso-Klone. Jeder hergestellte Picasso wird mit Picasso-Punkten belohnt. Spritzt man ins Leere, werden die Zellen zu Schafen  und  entfernen sich, verschwinden im Bildschirmweiss. Das ist der erste Teil des Spiels. Ich frage: »Wenn ich 75 Picasso-




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Punkte hole, heisst das, Picasso ist fünfund- siebzigmal kein Originalgenie mehr? Und kann man das vergleichen mit einer demonst- rierenden Proletariermasse, die unisono Klopstock! Klopstock! Klopstock! skandiert?« Friedrich Rusmann lacht. Er empfielt mir Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750 bis 1945 von Jochen Schmidt. Rusman hadert mit dem Genie-Gedanken.
Das Geniale am Spiel ist der zweite Teil. Die im ersten Teil erzielten Picasso-Punkte haben den Spieler zum schöpferischen Künstler gemacht. Er kann jetzt »permutativ-zufällig«, so Frieder Rusmann, Künstlernamen gene- rieren, die gleichzeitig mit schönen Künstler- Topoi visualisiert werden.   So gehört zu Marcel Duchamp[TM] die Schachfigur, zu Joseph Beuysv das Fett, zu Yves Klein[TM] das Yves-Klein-Blau, Hermann Nitsch[TM] das Blut, zu Günther Ücker[TM] der Nagel und zu Andy Warhol[TM] die Cambpell-Suppendose. Je mehr Picasso-Punkte der Spieler hat, desto mehr Permutations-kunstwerke darf er schaffen. Das Absurde am Spiel, »der Clou«, so Frieder Rusmann, ist die Tatsache, dass der Schöpfer im Grunde der Computer selbst ist. Das letzte Genie ist die Maschine. »Mich interessiert der Name dieser Maschine. Ich finde, man nennt sie Zufallsgenerator. Künstler sind ja immer an gewissen Dingen interessiert und an gewissen Dingen nicht. Ich bin interessiert am Wort Zufallsgenerator. « Das sage ich.
Was sagt Frieder Rusmann? Er sagt: »Hirsch ich will greinen. Picasso ist doll - y.« Ich nehme Glenn Gould raus. Ich lege Nas auf, Frieder Rusmanns Lieblingsrapper. Wir bouncen.


Adresse:
auer.netzliteratur.net/wertschoepfung


Systemanforderungen:
Neuer, schneller Computer; Flash 5 Player



Personenregister
Bernhard, Thomas
Beuys, Joseph
Duchamp, Marcel
Gould, Glenn
Klein, Yves
Klopstock, Friedrich Gottlieb
Nas
Nitsch, Hermann
Picasso, Pablo
Rusmann, Frieder 5,11,13,19,
Schmidt, Jochen
Ücker, Günther
Warhol, Andy

Sach- und Ortsregister
bouncen
Genialität
Genie                    1,4,12,13,
Genie-Diskussion
Injektion
Internetspiel
Maschine
Permutationskunstwerke
Petrischale
Picasso-Klon
Proletariermasse
Schachfigur
seriell
Stuttgart
Topos
Yves-Klein-Blau
Zeitraffer
Zelle
Zufallsgenerator

Werkregister
Geschichte des
Genie-Gedankens
in der deutschen Liteartur,
Philosophie und Politik
1750-1945, die
Untergeher, -
Wertschöpfung, -
Wohltemperierte Klavier, das




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9,15,69
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© 2002 Christian Zehnder, art.21-zeitdruck, Bern